Stiftung Familienunternehmen
2023
Centre for Industrial Studies (CSIL)
Wie hoch ist die Bürokratiebelastung für mittelständische Unternehmen durch das EU-Recht? Diese Frage beantworteten Prognos und das Centrum für europäische Politik (cep) für die Stiftung Familienunternehmen.
Dafür schauten wir uns vier Rechtsbereiche an:
Um die vier Bereiche A1-Bescheinigung, Entsenderichtlinie, Transparenzregister und DSGVO und den mit ihnen verbundenen bürokratischen Aufwand einschätzen zu können, erstellte das cep zuerst jeweils ein Rechtsgutachten. Darauf folgte eine Bewertung durch Prognos und seinen Partner Centre for Industrial Studies (CSIL) aus Mailand, wie viel Zeitaufwand und Kosten für Unternehmen durch die Regelungen entstehen. Dabei konzentrierten wir uns auf Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich. Was wir dabei nicht betrachteten: inwieweit die Regelungen an sich zielführend sind. Vielmehr schätzten wir ein, wo die Bürokratie im Hinblick auf die vier Bereiche effizienter oder digitaler werden kann. Die empirische Bewertung stützt sich auf Interviews, die wir mit Unternehmen und Expertinnen und Experten in den vier Ländern durchgeführt haben.
Was lässt sich aus den vier Fallstudien für die Bürokratieentlastung von Unternehmen lernen? In sechs Thesen haben wir die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst:
Das EU-Recht sieht vor, dass eine Person nur dem Sozialversicherungsrecht eines einzigen Mitgliedstaats unterliegt – das ist normalerweise der Staat, in dem die Person arbeitet. Wenn der Arbeitgeber nun entscheidet, diese Person für maximal zwei Jahre in ein anderes EU-Land zu versetzen, gilt jedoch das Recht des Staats, aus dem der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin stammt. In diesem Fall stellt der Sozialversicherungsträger des Herkunftslands auf Verlangen einen Nachweis über die aktuelle Geltung aus: die A1-Bescheinigung.
Welche Angaben in der A1-Bescheinigung gemacht werden müssen, gibt das EU-Recht nicht vor – die Vorgaben variieren von Land zu Land und sind teils umfangreich. Auch wenn alle vier untersuchten Länder Online-Lösungen zur Beantragung von A1-Bescheinigungen anbieten, so unterscheidet sich der zeitliche Aufwand deutlich: von über 30 Minuten in Italien bis knapp unter 20 Minuten in Österreich. Auch die entstehenden Kosten schwanken dementsprechend. Die Erfüllungskosten liegen im Bereich von sieben Euro je Vorgang in Österreich (6,80 Euro) und Frankreich (7,12 Euro) bis hin zu über zehn Euro in Italien und Deutschland (10,28 Euro).
Aus unseren Untersuchungen ergeben sich folgende Anregungen zur Verringerung des bürokratischen Aufwands:
Entsendet ein Unternehmen Mitarbeitende in einen anderen EU-Mitgliedsstaat, muss es nicht nur bei den nationalen Behörden eine A1-Bescheinigung beantragen, die Entsendung muss unter bestimmten Voraussetzungen auch im aufnehmenden Land angemeldet werden. Damit soll vermieden werden, dass eine Entsendung nationale Standards unterläuft.
Hier gibt das EU-Recht den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, eigene Bestimmungen zur Einhaltung der Entsenderichtlinie zu erlassen. Entsprechend vielfältig sieht es in der Realität aus: In den vier untersuchten Ländern variieren die Anforderungen, die bei der Entsendung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zu beachten sind. Unsere Studie zeigt auf, dass insbesondere die Informations- und Meldepflichten in Frankreich und Österreich überdurchschnittlich aufwendig sind – was auf sogenanntes gold plating hindeutet: die nationalen Verschärfung europäischer Vorgaben.
Für Unternehmen ist die Vielzahl zu erfüllender nationaler Anforderungen – von der Übersetzung von Arbeitsverträgen in die jeweilige Landessprache bis hin zur Vorlage medizinischer Nachweise – eine Herausforderung. Unsere Recherche zeigt:
Um die Belastung für Unternehmen zu verringern, schlagen wir deshalb unter anderem vor:
Zur Bekämpfung von Geldwäsche verlangt das EU-Recht seit 2017 von den Mitgliedstaaten die Einrichtung zentraler Transparenzregister. Diese Register enthalten Informationen über die „wirtschaftlich Berechtigten“ eines Unternehmens und machen die Eigentümerstruktur transparent. Die Transparenzregister können die Form eines eigenständigen öffentlichen Registers haben oder Teil eines vorhandenen Handelsregisters sein – hierüber trifft das EU-Recht keine Aussagen. Im Rahmen unserer Studie haben wir in Band 3 die administrative Umsetzung in Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich untersucht, wobei Italien zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie nach wie vor kein aktives Transparenzregister hat.
Unsere Studie zeigt, dass es trotz weitgehend identischer Informationspflichten in den nationalen Registern große Unterschiede in der administrativen Belastung der Unternehmen gibt. Der Vergleich von Zeit und Kosten für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zeigt deutlich die Vorteile eines automatischen Datenabgleichs mit bestehenden Registern nach dem „Once-Only-Prinzip“. Während beispielsweise die Befüllung des Transparenzregisters für viele Unternehmen in Österreich automatisiert aus den Daten des Handelsregisters erfolgt, benötigten Firmen in Deutschland bis zu 45 Minuten für die Registrierung im Transparenzregister.
Unsere Empfehlungen zielen deshalb vor allem auf eine Vereinfachung der Umsetzung der Transparenzregister ab, insbesondere:
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zielt auf einen besseren Schutz personenbezogener Daten und eine Vereinheitlichung des Datenschutzrechts in Europa ab. Zwei Artikel der DSGVO wurden im Rahmen der vierten Studie untersucht: Artikel 30 verlangt von Unternehmen die Erfassung sämtlicher Verarbeitungstätigkeiten im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten in einem Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten (VVT). Artikel 33 verpflichtet Unternehmen, bei einer Datenschutzverletzung die zuständige Aufsichtsbehörde innerhalb von 72 Stunden zu informieren.
In der Umsetzung führt dies zu erheblichen Aufwänden für die untersuchten Unternehmen, wobei sich die Umsetzung und Einhaltung der Artikel 30 und 33 zwischen den Mitgliedsstaaten nicht wesentlich unterscheiden. Die Belastungen sind vielmehr abhängig vom Geschäftsmodell sowie der Größe des Unternehmens und der damit verbundenen Zahl von Verarbeitungstätigkeiten. Dies betrifft auch KMU, da praktisch alle Unternehmen besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne von Artikel 9 (1) verarbeiten und somit die Ausnahmeregelung für kleine und mittlere Unternehmen (Artikel 30 (5)) nicht in Anspruch nehmen können. Aufgrund unzureichend definierter Rechtsbegriffe sind Unternehmen bei der Einhaltung von Artikel 30 DSGVO in hohem Maße auf offizielle Informationen und Vorlagen sowie Beratung angewiesen, wobei das Angebot der jeweiligen Datenschutzbehörden oftmals nicht ausreichend ist. Bei der Meldung von Datenschutzverletzungen entfällt für die Unternehmen der meiste Zeit- und Arbeitsaufwand auf interne Prozesse und die Risikobewertung. Die Datenschutzbeauftragten sind über den Datenschutzzwischenfall in Kenntnis zu setzen, haben eine Risikobewertung vorzunehmen und zu entscheiden, ob eine Meldung an die Datenschutzbehörde erfolgen muss.
Wesentliche Ansatzpunkte für eine Verringerung des Verwaltungsaufwandes sind aus Sicht der Autorinnen und Autoren:
Mehr Informationen zur Bewertung der Ergebnisse finden Sie auf den Seiten der Stiftung Familienunternehmen.
Lessons learned: Thesenpapier zur Bürokratieentlastung (PDF)
Band 1: A1-Bescheinigung (PDF, auf Englisch)
Band 2: Entsenderichtlinie (PDF, auf Englisch)
Band 3: Transparenzregister (PDF, auf Englisch)
Band 4: DSGVO (PDF, auf Englisch)
Projektteam: Sarah Anders, Paul Braunsdorf, Pia Czarnetzki, Jan Felix Czichon, Henner Kropp, Lorenz Löffler, Michael Schaaf, Jan Tiessen
Stand: 14.06.2023
Vize-Direktor, Bereichsleitung Managementberatung
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